Lüge und Mythos 11:
In vielen Partnerschaften – ich würde sogar behaupten in allen – kann die anfängliche Leidenschaft nicht „bis, dass der Tod sie scheidet“ aufrechterhalten werden. Leidenschaft entsteht zum großen Teil aus der Neugierde heraus, einen anderen Körper leidenschaftlich zu erforschen. Aber irgendwann ist auch die letzte Sommersprosse eingehend betrachtet und aus der anfänglich stürmischen Liebe vielleicht so etwas wie Gewohnheit geworden.
Was in dieser Situation Trost sein soll, ist gleichzeitig ein Mythos: Wenn die leidenschaftliche Liebe weg ist, ist auf jeden Fall eine sinnliche Liebe lebbar. Diese Gleichung würde in einer Mathematikprüfung nicht aufgehen können. Es besteht die Möglichkeit, aber nicht die Pflicht. Wenn die frühe Leidenschaft fort ist, tritt nicht automatisch Sinnlichkeit an ihre Stelle, denn Sinnlichkeit entsteht vorrangig in der Gefühlswelt der Partner. Wenn man an einer Bushaltestelle an einem wildfremden Menschen riecht, entstehen vollkommen andere Gefühle, als wenn man den Duft des Menschen aufnimmt, den man liebt.
Man sagt: Man liebt mit allen Sinnen. Darin steckt viel Wahrheit. Der Geruch eines Menschen, die Wärme seiner Haut, der Geschmack seiner Lippen, dies alles wird nur erotisch, wenn ich diesen Menschen auch liebe. Auch hier gilt wieder: Liebe und Sexualität müssen unbedingt getrennt voneinander betrachtet werden, damit sie in Fragen der Sinnlichkeit wieder zueinanderfinden können. Es ist jedem Liebespaar zu wünschen, dass es nachlassende leidenschaftliche Liebe in sinnliche Liebe verändern kann. Aber es gibt kein Naturgesetz, das für die Erfüllung dieses Wunsches zuständig wäre.
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