Freiräume in einer Paarbeziehung

Privatsphäre und Intimsphäre sollten in einer Liebesbeziehung mit Bindung möglich sein.

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Sie kennen den Spruch, „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Freiräume sollten weiterhin sein, ohne dass sie die Innigkeit und Nähe in der Partnerschaft gefährden. Lassen Sie den geheimnisvollen Wind, der zwischen den Partnern weht, wohlwollend zu. Über Freiräume in der Partnerschaft.

Lasst Raum zwischen euch. Robert Betz

Aber lasst Raum zwischen euch.
Und lasst die Winde des Himmels zwischen euch tanzen.
Liebt einander, aber macht die Liebe nicht zur Fessel.
Lasst sie eher ein wogendes Meer zwischen den Ufern eurer Seele sein.
Füllt einander den Becher, aber trinkt nicht aus einem Becher.
Gebt einander von eurem Brot, aber esst nicht vom selben Laib.
Singt und tanzt zusammen und seid fröhlich,
aber lasst jeden von euch allein sein.
So wie die Saiten einer Laute allein sind und doch von derselben Musik erzittern.
Gebt eure Herzen, aber nicht in der anderen Obhut.
Denn nur die Hand des Lebens kann eure Herzen umfassen.
Und steht zusammen, doch nicht zu nah:
Denn die Säulen des Tempels stehen für sich,
Und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.
Khalil Gibran, Der Prophet 

Was lesen Sie aus diesen Zeilen? Ich lese daraus, dass Distanz der Klebstoff ist, durch den Menschen miteinander verbunden werden. Raum zwischen sich lassen. Das bedeutet vor allem, loslassen können, den anderen nicht zu dominieren, keine Besitzansprüche anzumelden und auch nicht die Persönlichkeit des anderen in die eigene zu verwandeln. Was bedeutet das im täglichen Miteinander? Es bedeutet, sich keine Rechtfertigungen abzuholen. Nicht zu fragen, warum und wie lange und mit wem.

Freiräume in der Partnerschaft: Eine bildliche Darstellung

Stellen Sie sich diesen Freiraum bildlich vor wie einen Ring, der um die Taille des anderen geschnallt ist. Innerhalb dieses Freiraumes darf er sich bewegen und Sie im Übrigen auch. Sich gegenseitig Freiräume zu geben, bedeutet auch, selbst freier zu leben. Sie werden dadurch etwas beobachten. Ihr Mann oder Ihre Frau wird ganz von selbst berichten, wie er oder sie den Tag verbracht hat, wenn Sie den anderen nicht ins Kreuzverhör nehmen.

Wenn Sie nicht loslassen und von alten Gewohnheiten abweichen können, machen Sie sich bewusst, warum Sie so minutiös über den Tagesablauf des Partners unterrichtet werden wollen. In der Regel stehen Verlustängste, Macht- und Kontrollsucht dahinter. Manchmal auch Eifersucht auf den Partner, der mehr Freunde, bessere Hobbys oder generell ein besseres Leben zu haben scheint.

Freiraum versus Kontrolle: Ein zentrales Problem in der Partnerschaft

Das Problem der Kontrolle fängt viel früher an, nämlich nicht erst in dem Moment, in dem das Verhör beim Heimkommen beginnt. Es fängt für den anderen schon auf dem Heimweg an mit diesem unguten Gefühl, was jetzt wiederkommen wird. Sitzt die Frau oder der Mann schon mit gezückter Waffe im Wohnzimmer und wartet nur darauf, das Feuer zu eröffnen? Was wird er oder sie sagen, wenn ich nach Feierabend noch einen Umweg genommen habe, um einen Freund zu treffen, statt die freie Zeit lieber zuhause zu verbringen? Solche Verhörmethoden nach Feierabend animieren auch dazu, den Partner zu belügen. Man sagt dann lieber, dass man länger arbeiten musste, um Diskussionen aus dem Weg zu gehen, statt zu erzählen, dass man eben noch ein Feierabendbier getrunken hat.

Die Parnerschaft nicht als Fessel wahrnehmen

Machen Sie sich selbst frei von dem Gedanken, dass eine Partnerschaft oder der Ehering eine Kette ist, mit der Sie für immer aneinander gekettet sind und die Sie dazu zwingt, die gleichen Interessen zu haben und immer alles gemeinsam unternehmen zu müssen.

„Liebe ist das Kind der Freiheit, niemals das der Beherrschung“ (Erich Fromm)[i].

„Liebe ist nie misstrauisch, Liebe ist nie eifersüchtig. Liebe mischt sich nie in die Freiheit des anderen ein. Liebe drängt sich dem anderen nie auf“.

Liebe und auch Sexualität geben Freiheit. Und Freiheit ist wiederum nur möglich, wenn genug Raum zwischen zwei Menschen ist. Liebe ist ein Kind der Freiheit, das unbedingt geboren werden sollte.

Was bedeuten diese Erkenntnisse nun für die Liebe?

Sie bedeuten, dass man den anderen glücklich machen möchte, und zwar aus ganz egoistischen Gründen, um selbst glücklich zu sein. Wie kann das gelingen? Indem man kritisch hinterfragt, warum man ärgerlich ist, wenn der Partner einem anderen Menschen auf der Straße hinterherschaut. Sind Eifersucht und Streit angemessen, oder sollte an diese Stelle nicht lieber die Freude darüber treten, dass der anderen Freude empfindet? Sie leben nicht in einer Seifenblase, durch die nichts eindringt. Harmonie in der Partnerschaft bedeutet, andere Menschen zuzulassen. Stärken Sie das Immunsystem der Liebe, indem Sie sich mit Ihrem Partner freuen, statt ihm als Konkurrent entgegenzutreten. Sie sind Ihre Verbindung nicht aus dem Grund eingegangen, um sich gegenseitig klein zu machen, um sich zu ducken, sich zu reduzieren und Konflikte auszutragen, die Sie allein nicht hätten.

Fehlende Freiräume: Ein Einblick in meinen Beratungsalltag

Ich erlebe in meiner Praxis immer wieder Paare, die Freiheit als Gegenspieler der Paarbeziehung sehen. Ist es nicht ein Widerspruch, zusammen zu sein und sich gleichzeitig möglichst viel Raum zu geben? Nein, das ist es nicht. Aus Freiheit entstehen Nähe und Intimität. Das ist, als wenn am Morgen der kleine Hund über den Zaun springt und am Abend plötzlich wieder vor der Tür steht und nach Futter fragt.

Sie wollen eigentlich nicht so sehr wissen, wo er war, sondern freuen sich darüber, das kleine Wollknäuel wieder wohlbehalten daheim zu haben. So ähnlich ist es auch in der Partnerschaft. Je freier man lebt, desto interessanter wird man für den anderen, desto mehr Gesprächsthemen gibt es am Esstisch und desto mehr Sehnsucht kann tagsüber aufkeimen, den Partner am Abend wieder in die Arme zu schließen.

Nähe und Distanz müssen sich in guten Beziehungen abwechseln

In guten Beziehungen wechseln sich Nähe und Distanz ab. Da treffen sich Männer auch mal mit guten Freundinnen und Frauen mit männlichen Freunden. Dies soll jetzt allerdings nicht den Eindruck erwecken, als dürfe man in guten Partnerschaften nichts mehr gemeinsam unternehmen. Natürlich verbringen Sie dann auch wieder gemeinsame Zeit, teilen Interessen und Hobbys ‒ „Singin' in the Rain“[iii].

Versuchen Sie einmal zu tanzen, während Sie an Armen und Beinen aneinander gekettet sind. Es wird nicht mehr als ein kläglicher Versuch sein, sich im Rhythmus der Musik zu bewegen. Wenn Sie tanzen wollen, dann lösen Sie die Fesseln und lassen Sie sich treiben in dem freien Raum, der nun entstanden ist.

Alles mit einem für immer?

„Alles nur mit einem für immer“ ist eine unbewusste Reaktion, der sich bei den meisten Paaren einstellt, wenn sie eine Beziehung miteinander eingehen. Das ist also keine bewusste Entscheidung, nach der die Leitlinien und Werte auf den Prüfstand gestellt worden sind.

„Alles nur mit einem für immer“ erwarten wir nicht aus Liebe, sondern aus egoistischen, ja sogar egozentrischen Antrieben. Wir wünschen uns in der Liebesbeziehung vom Gegenüber einen ständigen Zufluss von Anerkennung, Bestätigung und Wertschätzung. Oft auch eine sexuelle Grundversorgung. Diesen nicht versiegenden Strom von Anerkennung, Bestätigung und Wertschätzung wollen wir sicherstellen. Darum erwarten wir auch in jeder Hinsicht eine Ausschließlichkeit. Wollen viel Zeit mit dem Partner verbringen. „Viel Zeit“ wird oft im Stillen und gänzlich unbewusst gleichgesetzt mit

  • viel Anerkennung, Zuwendung, Bestätigung und Wertschätzung,
  • Kontrolle über die Zeit des Anderen (wenn ich mit ihm zusammen bin, kann er niemand anderen kennenlernen oder einem anderen das geben, was ich für mich erwarte).

Ärger, Wut und Eifersucht ist dann die Reaktion, die sich einstellt, wenn wir merken, dass der andere unseren Erwartungen und Vorstellungen nicht entspricht.

Liebe als Befriedigung der eigenen Bedürfnisse

Es ist entzaubernd zu erkennen, dass die Worte „Ich liebe Dich“ oft nichts Anderes bedeuten, als „ich will etwas von dir“. Die Befriedigung meiner Bedürfnisse soll sichergestellt sein, das Gefühl, „geliebt zu werden“, Anerkennung, Zuwendung, Bestätigung und Wertschätzung zu erfahren und den Sex in Quantität und Qualität zu bekommen, den ich mir vorstelle.

Wenn wir diese Erwartungen und Vorstellungen, dass der andere sich so verhält, wie wir es uns wünschen, Liebe nennen, geht es uns dabei in Wirklichkeit nicht um das Wohl des anderen, sondern um das eigene Wohl, um die Vollziehung unserer eigenen Grundbedürfnisse. Wenn wir dann nicht bekommen, was wir erwarten, werden wir oft eifersüchtig, ärgerlich oder gar wütend, ja sogar aggressiv und drohen mit Beendigung der Beziehung. Ist das Liebe? Ich schätze, das ist Ausübung von Macht und Manipulation.

Oder ist es Liebe, wenn ich sage was N. Welsch schrieb,

„Du bist mir wichtig“, wenn ich sage, „Wenn ich für dich will, was du für dich willst, dann liebe ich dich wirklich“?


[i] Erich Fromm (* 23. März 1900 in Frankfurt am Main; † 18. März 1980 in Muralto, Schweiz)

[ii] Bibel 1. Korinther 13, 1 (Übersetzung von Luther)

[iii] Songtext von Gene Kelly gesungen von Frank Sinatra

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