Fehlende Nähe in der Partnerschaft

Nähe lässt sich nicht erzwingen

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Die Themen Nähe und Distanz wirken auf den ersten Blick wie Gegensätze. In der Beziehung sind sie aber untrennbar miteinander verbunden und es ist die große Herausforderung, ein angemessenes Verhältnis zwischen ihnen herzustellen. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass sich fehlende Nähe nicht erzwingen lässt.

Zu wenig Nähe? Die Realität in der Partnerschaft

Oft gibt es in Partnerschaften ein festgelegtes Muster. Ein Partner hat das Bedürfnis nach mehr Nähe, der andere nach mehr Freiheit. Um dieses Muster zu verstehen, muss man genauer hinsehen. Am Anfang der Beziehung haben beide Partner meist dasselbe Bedürfnis nach Nähe. Man kann sich nicht oft genug sehen und wird von einer unsichtbaren Schnur fest zusammengehalten. Nach einiger Zeit nimmt dieses Bedürfnis nach absoluter Zweisamkeit allerdings ab. Es kommt der Alltag in die Beziehung und damit auch der Wunsch, die Freunde mal wieder öfter zu sehen. Der Wunsch nach mehr Freiheit ist geboren.

Unterschiedliche Bedürfnisse von Nähe und Distanz

Allerdings ist das Bedürfnis nach Nähe oder Distanz bei beiden Partnern unterschiedlich. Dem einen reicht es, einmal im Monat mit Freunden ins Kino zu gehen, der andere möchte gerne dreimal in der Woche den Abend allein bzw. mit Freunden verbringen. Und genau aus diesem Missverhältnis entstehen die ersten Streitigkeiten.

Ich will mehr Zeit mit dir verbringen

In meinen Paarberatungen höre ich oft die Forderung: „Du musst mehr Zeit mit mir verbringen.“ Allerdings ist der Haken, dass sich Nähe nicht erzwingen lässt. Oftmals wird vom nähe bedürftigen Partner Druck aufgebaut. Sein gesamtes Tun und sein Tagesablauf sind nur noch auf den Partner ausgerichtet, und es entsteht eine emotionale Abhängigkeit. Die eigenen Wünsche werden nicht mehr wahrgenommen, Freunde und Hobbys vernachlässigt. Die Ursache für den drängenden Wunsch nach mehr Nähe ist häufig ein mangelndes Selbstwertgefühl und damit verbundene Verlustängste.

Weil ich es nicht wert bin, wird sich mein Partner vielleicht trennen. Um dem entgegenzuwirken, wird Druck erzeugt, auf den der freiheitsliebende Partner mit Flucht reagiert. Auf den Wunsch nach mehr Nähe reagiert er mit noch mehr Distanz. Ein destruktiver Kreislauf, der sich in vielen Fällen auf eine Trennung zubewegt. Der freiheitsliebende Partner leidet unter dem starken Nähebedürfnis des Gegenübers. Die Luft zum Atmen fehlt, und der Freiheitsliebende hat das Gefühl, zu ersticken.

Beziehungspartner müssen eigenständige Menschen bleiben

Eine Beziehung hat nicht die Aufgabe, den Partner in die eine oder andere Richtung zu verändern. Beide sind eigenständige Menschen mit individuellen Interessen, Hobbys und ihrem eigenen Bedürfnis nach Nähe und Distanz. Beziehungen zu anderen Menschen sind förderlich für eine Partnerschaft. Sie bringen Abwechslung und neue Impulse in die Partnerschaft. Es ist für jeden Menschen wichtig, sich nicht nur als Partner in einer Beziehung wahrzunehmen, sondern als eigenständiges Individuum und als Ich.

Wie viel Nähe und wie viel Distanz sollte es in einer Partnerschaft geben?  

Dafür gibt es keine allgemeingültige Regel. Was richtig und was falsch ist, entscheiden die Beziehungspartner immer für sich selbst. Wichtig ist nur, dass die Kluft zwischen dem Nähebedürfnis des einen und dem Distanzwunsch des anderen nicht allzu groß ist.

Das Problem mit der Vollkommenheit in einer Partnerschaft

Es gibt viele Formulierungen, die das Problem zwischen Nähe und Distanz auf den Punkt bringen. Zum Beispiel: „Mit meinem Partner bin ich endlich vollkommen“ oder „Er/Sie ist das fehlende Puzzlestück in meinem Leben.“ Das beschreibt perfekt, wie das Missverhältnis zwischen Nähe und Distanz in einer Partnerschaft zum Problem wird. Denn wenn ich nur mit meinem Partner vollkommen bin, werde ich durch seine Abwesenheit wieder unvollkommen. Demnach zielen alle Bestrebungen darauf, den Zustand der Vollkommenheit möglichst weit auszudehnen und die Distanzzeiten so kurz wie möglich zu halten. Und daraus wiederum entsteht der beschriebene Kreislauf zwischen dem Wunsch nach noch mehr Nähe, aus dem heraus sich eine Vergrößerung der Distanz ergibt.

Nähe, Distanz und der ungesunde Machtkampf

Aus dem Missverhältnis zwischen Nähe- und Distanzwunsch ergibt sich oft ein ungesunder Machtkampf. Männer gehen häufiger in die Kneipe, Frauen reagieren mit sexueller Verweigerung. Der Konflikt breitet sich wie ein Buschfeuer weiter in der Beziehung aus und wird irgendwann zu einem Flächenbrand, der kaum noch gelöscht werden kann.

Es gibt nur eine Lösung

Für dieses Dilemma gibt es nur eine Lösung: Anzuerkennen, dass die eigene Persönlichkeit ein vollständiges Ganzes ist. Dann nämlich sind Sie nicht mehr darin gefangen, Ihr vermeintlich mangelhaftes Wesen – das läuft komplett im Unbewussten ab - durch einen anderen Menschen vervollständigen zu müssen.

Das schlechte Image von Distanz in einer Beziehung

Abstand wird vielfach als etwas Destruktives in einer Partnerschaft wahrgenommen. Wer kann schon offen sagen, dass er sich heute lieber mit einem anderen Menschen trifft, als Händchen haltend auf der Couch zu sitzen? Dabei sind der Wunsch nach Distanz zu einem Menschen und Zeit für sich natürliche und gesunde Bedürfnisse des Menschen. Nur wer sich selbst als unabhängige Person wahrnimmt und Selbstliebe spürt, ist auch in der Lage, danach wieder Nähe aufzubauen.

Die zwei Arten von Distanz

Man unterscheidet allgemein zwischen einer räumlichen und einer psychischen Distanz. Räumliche Distanz entsteht, sobald die Partner außer Sichtweite sind – in einem anderen Zimmer, einer anderen Stadt oder eben im Urlaub mit Freunden. Diese räumliche Distanz fördert die Sehnsucht nach einander und kann die Leidenschaft neu entfachen.

Ab und an sollte aber auch eine psychische Distanz hergestellt werden, und diese ist schon schwieriger zu erreichen. Man sollte es aushalten können, nicht immer einer Meinung zu sein und sich eben nicht nur als Teil eines Ganzen zu sehen.

Distanz als Ausdruck von Freiheit in der Partnerschaft

Beide Arten von Distanz benötigt eine Partnerschaft. Distanz ist nicht der Anfang vom Ende, sondern ein Ausdruck von Freiheit in der Partnerschaft. Nur wer sich ab und zu Distanz verschafft, behält die Beziehung zu sich selbst und kann durch Selbstliebe die Partnerschaft bereichern und Nähe zulassen. Ohne Distanz ist keine Partnerschaft möglich. Ohne Nähe auch nicht. Es ist für eine funktionierende Partnerschaft also zwingend notwendig, dass beide Partner das für ihre Beziehung ausgewogene Verhältnis zwischen diesen beiden Gegensätzen ausloten.