Treue als Idealisierung in der Paarbeziehung

Warum eine Affäre nicht das Ende der Beziehung bedeuten muss

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Fragt man Paare, was ihnen am wichtigsten sei in der Beziehung, dann gehört der Begriff „Treue“ zu den häufigsten Antworten. Wird diese elementare Voraussetzung verletzt, führt dies nicht selten zur Trennung. Denn auch darin sind sich viele Paare einig: Seitensprünge und Affären sind der Anlass, eine Beziehung zu beenden. Genau diesen Punkt gilt es aber für die moderne Gesellschaft zu hinterfragen. Ist Treue nur eine Idealisierung in der Partnerschaft und wie lässt sich Untreue von Anfang an vermeiden? Treue als Idealvorstellung in der Beziehung 

Der Treuebegriff auf dem Prüfstand

Namhafte Paartherapeuten wie beispielsweise Esther Perel stellen in Interviews den Treuebegriff auf den Prüfstand. Daher lohnt sich an dieser Stelle ein Blick auf diese neue Perspektive.  

Wo beginnt Untreue?

Untreue beginnt laut Perel im Grunde genommen immer dort, wo ein Partner die gemeinsamen Vereinbarungen nicht einhält. Jedes Paar hat eine eigene Definition von Treue und einen individuellen Punkt, an dem das Handeln dem anderen wehtut. Ist dieser Punkt erreicht, beginnt Untreue. Das kann schon der Gedanke an Sex mit dem Arbeitskollegen sein oder erst der Geschlechtsakt mit einem Fremden. Wo früher die Kirche oder fehlende Verhütungsmittel regulierend in die Beantwortung dieser Frage eingriffen, ist heute jedes Paar selbst in der Verantwortung, Treue in der Partnerschaft zu definieren.

Der Treuebegriff muss rechtzeitig definiert werden

Treue oder Untreue muss für die Partnerschaft rechtzeitig definiert werden. Wer nicht rechtzeitig sagt, welche Erwartungen er an den anderen hat, darf sich später nicht beschweren. Es macht für jedes Paar Sinn, in den Anfängen der Beziehung zu klären, welche Anteile der Sexualität exklusiv erlebt und welche vielleicht auch mit anderen Personen geteilt werden dürfen. Auch die Klärung von Fragen wie dem Umgang mit Ex-Partnern gehören dazu

Treue als Idealisierung und archaischer Begriff der Partnerschaft

Treue gilt heute noch immer als eines der höchsten Güter einer Partnerschaft oder einer Ehe. Die Ursprünge reichen weit zurück in unserer Gesellschaft, denn früher diente die Treue dazu, eine väterliche Linie zu erhalten. Mit der Hochzeit ging man eine exklusive Verbindung ein, die weniger romantische, als vielmehr wirtschaftliche und existenzielle Ziele verfolgte.

Bis heute hat sich die Hoheit des Treuebegriffs in der Partnerschaft erhalten. Gleichzeitig haben wir essenzielle Erwartungen an den einen Partner, mit dem wir nach Möglichkeit ein Leben lang zusammen sein wollen. Er soll uns Liebhaber, Freund und Partner gleichzeitig sein.

Der Treuebegriff und die Realität

Gut und gerne 90 % aller Paare, die in meine Praxis kommen, sind schon einmal von Untreue betroffen gewesen. Entweder sind sie selbst betrogen worden oder sind fremdgegangen. Allein das zeigt, dass der stoische Treuebegriff hinterfragt werden muss – und zwar einzig und allein von jedem Paar selbst. Wer für sich in der Partnerschaft im gegenseitigen Einverständnis die Grenzen öffnet, kann genauso glücklich werden wie Paare, die sich weiterhin ein Leben lang die Treue versprechen.

Bei meinen Klienten ist das Altersspektrum von Paaren, die durch Untreue in einer Krise stecken, groß. Es reicht von Anfang 20 bis in die 80er hinein. Oftmals ist es sogar das Problem einer älteren Generation. 

Sind offene Beziehungen die Lösung für Untreue?

Es kommt immer darauf an, aus welchem Grund ein Seitensprung geschehen ist. Wenn ein Partner sich in der Beziehung nicht mehr wertgeschätzt fühlt, einsam ist oder Probleme wie Alkohol oder Gewalt im Spiel sind, kann dies auch die offene Beziehung nicht lösen.

Eine Ehe oder eine Partnerschaft spielt sich immer in einem Netz von Beziehungen ab, die alle Auswirkungen auf die Zweierbeziehung haben. Dazu gehören Kinder ebenso wie Freunde und Familie. Dieses Netz  muss in der Gesamtheit betrachtet werden, um der Frage nach Treue und Untreue auf den Grund zu gehen.

Wie gehe ich damit um, wenn mein Partner untreu ist?

In jedem Fall ist es nicht ratsam, die Details der Affäre bis ins Letzte aufzuklären. Auch Schnellschüsse wie eine sofortige Trennung oder der Versuch, es ihm gleichzutun, tragen zu einer guten Klärung bei. Jeder Seitensprung hat eine andere Bedeutung, die in der Beziehung begründet ist. Manchmal ist er beispielsweise nur eine logische Konsequenz einer zuvor schon zerrütteten Partnerschaft oder die Partner hatten sich zuvor schon innerlich verlassen. Die Partnerschaft sollte nicht nur nach einem Einzelereignis bewertet werden, sondern in der Gesamtheit.

Untreue als Problem des 21. Jahrhunderts

Im 21. Jahrhundert gibt es eine große Kluft zwischen dem, was wir von einer Partnerschaft erwarten und dem, was wir bereit sind, dafür zu geben. Die Erwartungen an einen einzelnen Menschen sind groß – er soll alle Wünsche erfüllen können und unsere Bedürfnisse zu 100% befriedigen. Gleichzeitig fließt ein Großteil der Zeit in die Arbeit und alle Emotionen werden den Kindern gewidmet. Da bleiben für die Partnerschaft weder genug Zeit, noch genug Liebe übrig.

Mehr Energie in die eigene Partnerschaft stecken

Es könnte sicher viel Leid in Beziehungen verhindert werden, wenn Paare die Energie, die sie in einen Seitensprung investieren, in die Partnerschaft stecken. Das können kleine Gesten sein wie sich füreinander hübsch zu machen oder den anderen mal wieder richtig zu verführen, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Kinderbetreuung zu finden und die eigenen sexuellen Bedürfnisse auszusprechen. Man kann auch mehrere Beziehungen mit ein- und demselben Partner führen und sich immer wieder neu entdecken. Letztlich kann aus Untreue auch immer etwas Positives wachsen. Es kann wachrütteln und manchmal sogar die Partnerschaft vor dem Aus retten.