Der Wir-Gedanke und der Todesstoß einer Beziehung
»Weißt du, was man später am meisten bereut – es nicht versucht zu haben.«
(Zitat aus dem Film »Die Farbe des Horizonts«)
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Kennen Sie diese Paare – oder gehören Sie vielleicht selbst dazu? - die ab dem ersten Tag ihrer Beziehung nur noch in der WIR-Form existieren? „Wir glauben“, „Wir sind“, „Wir möchten“.
Diese Individualität scheint ab einem Tag X ganz plötzlich ausgelöscht zu sein. Tatsächlich wird es von vielen Menschen als das Erstrebenswerte angesehen, in einer Partnerschaft miteinander zu verschmelzen und zum WIR zu werden. Warum auch nicht, schließlich betritt man – und das wird spätestens bei der Eheschließung auch noch einmal wörtlich betont – einen gemeinsamen Lebensweg. Es gibt ein gemeinsames Ziel, einen gemeinsamen Weg und darauf zwei Menschen, die zu einem großen Ganzen verschmelzen.
Der Wir-Gedanke der Liebe und warum er gleichzeitig der Todesstoß sein kann
Ich bin überzeugt, dass ein ständiges gemeinsames „Wir“ in einer Partnerschaft nicht existiert, nicht existieren kann. Jeder Mensch bleibt in einer Beziehung ein eigenständiges Individuum mit ganz persönlichen Wünschen, Lebensvorstellungen, Zielen, Gedanken, Bedürfnissen und Empfindungen. Diese können in keinem Fall identisch sein, nicht einmal bei Zwillingen. In meiner Paarberatung habe ich sehr viele Paare erlebt, deren Konflikt ursächlich aus der zerbrechenden Wir-Vorstellung entstanden ist. Eine Partnerschaft lebt vom Wechsel aus Nähe und Distanz. Intensive Gefühle können dann entstehen, wenn es Raum zwischen den Beziehungspartnern gibt. Nur mit dem nötigen Abstand kann auch wieder Nähe aufkommen, und Nähe wiederum benötigt gelegentlich auch Abstand. Wir-Paare füllen den Raum zwischen sich vollständig aus und erhoffen sich dadurch die trügerische Sicherheit, den anderen für immer bei sich zu haben. Ganz im Gegenteil verschwindet dadurch aber auch die Lebendigkeit.
Warum Individualität der Grundstein jeder Beziehung ist
Insbesondere in der jüngeren Generation ist wieder der Trend zur Individualität in Beziehungen zu erkennen. Unterschiedlichkeit ist nicht mehr der Ausdruck dafür, dass die Beziehung am Ende ist, sondern eher ein Zeichen für eine gesunde Entwicklung innerhalb der Partnerschaft. Denn wer auch Zeit mit anderen verbringt – als „Ich“ und nicht als „Wir“ – kann auch wieder Sehnsucht nach den anderen empfinden. Dazu gehört auch die natürliche Angst, dass nach der Distanz die Sehnsucht nach Nähe nicht mehr erwidert wird. Genau das ist es, was eine Beziehung am Leben erhält, statt sie zu ersticken.
Beziehungen können sich nur dann gesund entwickeln, wenn jeder Partner seine Individualität lebt und dadurch seine Attraktivität für den Partner bewahrt. Dann wird es auch nicht zum Problem, wenn es Phasen intensiver Verschmelzung gibt, die sich mit Phasen der Distanz abwechseln.
Titel der Seite: Begegnungen in die Paarbeziehung