Coolidge-Effekt in der Paarbeziehung

Monogamie ist Kultur, keine Monogamie ist Natur

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Man könnte endlos Geschichten aufzählen von Frauen und vorgetäuschten Orgasmen und Männern, die angestrengt ihre Potenz beweisen und anderen Schwindeleien. Die erotische Verpflichtung, das unausgesprochene Versprechen gegenseitiger sexueller Erfüllung lastet schwer auf den Gemütern der Partner. Und manchmal kommt es insbesondere in längeren Partnerschaften dazu, dass ein Partner einfach nicht mehr reicht. Die wissenschaftliche Bezeichnung dafür lautet: Coolidge-Effekt.

Lügen um Erfüllung und Frustration in der Paarbeziehung

Einen Satz wie »Für deine sexuelle Erfüllung fühle ich mich nicht verantwortlich« auszusprechen oder zuzugeben, dass man sich den Anforderungen einer Sexualität im Dienste der Paarbindung auf Dauer nicht gewachsen fühlt, fällt ungeheuer schwer. Es steht einiges auf dem Spiel. Spontan würde der Einwand auftauchen: "Wenn es mit dem Sex nicht klappt, wozu habe ich dann eine Partnerschaft?«

Es darf nicht sein - weil die Ansprüche an Beziehungen so extrem hoch liegen. Jeder Partner muss sich für die sexuelle Erfüllung des anderen zuständig fühlen, sonst melden sich warnend Angst- und Schuldgefühle: "Pass auf, streng dich an, sonst geht er/sie."

Die Hamburger Sexualtherapeutin Bettina Ziemert weist auf den inneren Konflikt der Partner hin:
Die meisten Paare haben die Monogamie als Ziel und verbindliche Vorgabe. Natürlich ist das eine Einschränkung und macht Leidenschaft schwerer. Wir möchten nicht die Bedrohung, aber das Begehren.

Treue ist auch keine Lösung

Wenn Sie sich auf einen Marktplatz stellen und mit dem Finger blind auf einen Menschen zeigen, dann treffen Sie mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 50% jemanden, der schon einmal fremdgegangen ist. Hier kann von einem „Ausrutscher“ kaum gesprochen werden. Das Ganze hat sogar einen Namen: Coolidge-Effekt. Ist das die Legitimation der Untreue?

Einige Betrachtungen vorweg

Ob wir monogam oder nicht monogam leben wollen, ist schlussendlich eine persönliche Entscheidung des Einzelnen. Idealerweise ist sich das Paar einig darüber, ob es monogam oder eben polyamourös leben möchte. In der Realität ist es aber häufig so, dass Paare sich nach außen einig sind, die Beziehung ausschließlich zu zweit zu führen, Seitensprünge dann eben heimlich abgewickelt werden.

Aufgedeckte Affären und Seitensprünge lösen in diesem Fall große Dramen aus. Gefühle wie Eifersucht, Vertrauensmissbrauch und Trennungswünsche kommen auf. Fast immer hinterlässt der Seitensprung eine Verlassenheitswunde und das Paar steht vor der Frage: Hat die Beziehung auf dieser Basis noch eine Chance? Einen Lösungsansatz in dieser Frage könnte der Coolidge-Effekt geben.

Was ist der Coolidge-Effekt?

Zur Einführung in dieses Thema möchte ich eine Anekdote erzählen, die namensgebend für das Phänomen ist:

Der US-Präsident John Calvin Coolidge soll in den 1920er-Jahren zusammen mit seiner Frau eine Hühnerfarm besucht haben. Der Farmer zeigte auf den Hahn und erklärte der Präsidentengattin, dass dieser Hahn bis zu 12 Mal am Tag den Geschlechtsakt vollziehen kann. Ihrer schnippischen Antwort lautete: „Sagen Sie das mal meinem Mann.“ Der Präsident soll darauf gekontert haben. Er erkundigte sich beim Farmer: „Besteigt jeder Hahn jedes Mal dieselbe Henne?“ Darauf antwortete dieser wahrheitsgemäß: „Nein, jeder Hahn hat einen ganzen Harem von Hennen." Darauf der Präsident: »Vielleicht könnten Sie das einmal Mrs. Coolidge erzählen."

Diese kurze Einführung zeigt, worauf es hinausgehen soll. Biologen haben herausgefunden, dass ein einziger Sexualpartner die Libido dämpft. Dieser Effekt wird seitdem Coolidge-Effekt genannt. So weit, so spannend. Aber was hat diese Erkenntnis nun für Auswirkungen auf unser Zusammenleben und die Partnerschaft?

Experimente in der Forschung rund um den Coolidge-Effekt

Ein spannendes Experiment wurde zu diesem Thema bereits 1956 an Ratten durchgeführt. Damals wurde ein Rattenmännchen in einen Käfig mit vier bis fünf Weibchen gegeben. Man beobachtete, dass das Männchen sich mit allen Weibchen bis zur eigenen völligen Erschöpfung wiederholt paarte. Ab diesem Punkt erfolgten keine Reaktionen des Männchens mehr auf weitere Stimulationen der Weibchen. Wurde nun ein weiteres Weibchen in den Käfig gegeben, konnte trotz der vorherigen Erschöpfung ein weiterer Paarungsakt mit dem neuen Weibchen beobachtet werden. Ähnliche Effekte konnten aber auch bei weiblichen Hamstern nachgewiesen werden und beschränken sich daher nicht auf das männliche Geschlecht.

Die wissenschaftliche Erklärung dahinter

Der Psychologe Dennis F. Fiorino von der University of British Columbia im kanadischen Vancouver konnte die biochemische Basis für den Coolidge-Effekt nachweisen. Seine Arbeit beruht auf der Erkenntnis, dass sexuelle Lust einer Art »Vergnügungsviertel« in der Tiefe des Gehirnes entspringt. Es gibt einen Nervenstrang, der sich von einem wichtigen Ballungszentrum im primitiven Mittelhirn über das Zwischenhirn bis zum Limbischen System erstreckt. Wann immer wir eine angenehme Erfahrung machen, schütten die Nervenzellen im Lustzentrum den Botenstoff Dopamin aus, der wie eine Glücksdroge wirkt. Auch euphorisierende Drogen setzen an dieser Stelle an. Dass Sex das Dopamin in diesem Hirnbereich hochtreibt, haben Forscher in der letzten Zeit mithilfe der sogenannten Mikrodialyse aufgezeigt.

Die Sache mit dem Sex aus der Sicht der Biologie

Betrachtet man die reine Biologie, dann lohnt es sich weitaus mehr, mit einem anderen Partner zu schlafen als immer wieder mit demselben. Vielleicht steckt dahinter sogar der eindrucksvolle Gedanke der Natur, Inzest zu vermeiden und eine möglichst große Artenvielfalt zu erzeugen. Außerdem ist es wohl noch immer tief im Menschen verwurzelt, Nachkommen zu zeugen. Die einfache Rechnung lautet: Sex mit einer Frau kann nur zu einem Kind führen. Sex mit zwei Frauen, zu zwei Kindern usw.

Also rechtfertigt die Natur mit dem Coolidge-Effekt einen Seitensprung?

Die Experimente und wissenschaftlichen Überlegungen lesen sich so, als sei das Fremdgehen in der Natur des Menschen verankert und es gäbe nahezu keine Wahl, als diesem Drang einfach nachzugehen.

Fakt ist wohl, dass sowohl der Mann als auch die Frau erotisch auf wechselnde Geschlechtspartner reagieren. Egal, ob wir verliebt sind, in einer festen Beziehung stecken, womöglich Ringe tragen. Zumindest nach einer gewissen Zeit müssen wir der Tatsache ins Auge schauen, dass wir durch die eigene Sexualität mit den Begrenzungen der Vorstellungen, der Konditionierungen und der Ängste um die Partnerschaft konfrontiert werden. Die Partner stehen also permanent an einer Weggabelung. Sie treffen mit jeder neuen Begegnung im Alltag die Entscheidung, ob sie den gewohnten Weg nach Hause laufen oder einen neuen Pfad entdecken wollen. Diese Entscheidungsfreiheit steht über der Natur – den „Zwang“ zur wechselnden Partnerschaft, gibt es nicht.

Sind Frauen stärker vom Coolidge-Effekt betroffen?

Der Coolidge-Effekt ist für Männer und Frauen gleichermaßen zutreffend. Frauen finden nachgewiesen die Vorstellung von Sex mit Fremden (männlich oder weiblich) deutlich erregender als mit ihrem eigenen Partner. Bis zu achtmal stärker wird die Durchblutung der Vagina beim Anblick eines attraktiven Fremden als bei einem attraktiven Freund oder ihrem Partner.

Es gibt einige Überlegungen dazu, ob der Coolidge-Effekt bei Frauen stärker ausgeprägt ist als bei Männern, da ihr Sexualtrieb in der Beziehung durchschnittlich stärker nachlässt als der des Mannes. Das kann jedoch nicht so eng gedacht werden, denn beim Coolidge-Effekt geht es am Ende darum, dass man mit einem bestehenden Partner weniger Sex will als mit neuen Partnern. Außerdem muss der stärkere Sexualtrieb des Mannes eingerechnet werden.

Cooldige-Effekt aus der Sicht eines Paarberaters

Aus meiner Sicht steigt am Anfang einer Beziehung der Testosteronspiegel der Frau und der des Mannes sinkt etwas. Dadurch will sie anfänglich mehr Sex als sonst. Nach einiger Zeit normalisieren sich die Hormonspiegel wieder und sie will weniger Sex als am Anfang der Beziehung. Dies führt aber nicht automatisch zu der Annahme, die Frau wolle in der Beziehung beispielsweise nur einmal pro Woche Sex und würde mit einem neuen Mann 3-mal am Tag Sex haben wollen. Ein direkter Vergleich scheitert insofern häufig schon an den verschiedenen Einstellungen zu Sex.

Die stärkere Ausprägung des Coolidge-Effektes beim Mann

Ich bin persönlich der Auffassung, dass der Coolidge-Effekt beim Mann stärker ausgeprägt ist als bei der Frau. Es gibt für Männer einen kommerziellen Markt, der Männern immer wieder neue Frauen für Sex an die Seite stellt. Es ist ein florierendes Milliardengeschäft, das auf wechselnde Sexualkontakte mit möglichst vielen Frauen ausgelegt ist. Ein Beispiel dafür sind die Pauschalangebote für Liebesurlaub. Die männlichen Teilnehmer zahlen eine pauschale Summe und dürfen während der Zeit so viel Sex mit allen anwesenden Frauen haben, wie sie wollen. Es wird dabei wohl nur selten zu beobachten sein, dass sich ein Mann nur eine Frau aussucht, mit der er sich 1 Woche am Stück vergnügen möchte. Demnach ist aus meiner Sicht der Coolidge Effekt auch bei uns Menschen eher bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen.

Müssen wir denn nun alle fremdgehen?

Führt der Coolidge-Effekt denn nun zu der Erkenntnis, dass wir die Idee einer monogamen Partnerschaft begraben müssen? Nein. Wir haben als Menschen – Männer wie auch Frauen – immer die Wahl, ob wir uns eher an der Kultur oder der Natur orientieren möchten. Lieben beide Partner die Idee, in einer monogamen Beziehung glücklich bis ans Ende ihrer Tage zu leben, dann ist das wunderschön. Haben dagegen beide den Wunsch, sich auch anderen Menschen auf sexueller Ebene anzunähern, dann ist dies ebenso begrüßenswert.

Fakt ist: Durch nicht-monogames Verhalten steigt die Lust auf den festen Lebenspartner wieder und es kommt meistens auch zu mehr Sex in der Partnerschaft, während die Sexualität in einer monogamen Beziehung eher vom Aussterben bedroht ist. Wichtig bleibt am Ende, dass sich beide Partner über die Lebensform in der Partnerschaft möglichst einig sind, damit negative Gefühle, Verletzungen und Missverständnisse keinen Nährboden bekommen.

Monogamie hat ihren Preis. Jeder zahlt das, was er möchte

Lebe jeder, wie er möchte. Nur die Eier legende Wollmilchsau wird es selten geben. Das Motto "Alles mit einem für immer" wird irgendwann schieflastig werden. Die Monogamie hat einen Preis. Das nicht monogame Motto hat auch seinen Preis. Einer davon ist wohl zu zahlen.

Zum Abschluss nochmals ein Text aus dem Buch von Michael Mary "5 Lügen der Liebe betreffend".

Politiker preisen moralische Integrität und Sauberkeit. Nicht erst seit Bill Clinton erweisen sie sich dabei als Lügner. War es Zufall, dass Franz Josef Strauß von einer Prostituierten die Brieftasche gestohlen wurde? Umschwirren leichte Mädchen und Hostessen rein zufällig die großen politischen und wissenschaftlichen Kongresse? Warum wohl bieten Hotels Pay-TV-Sexkanäle speziell für das Managerpublikum an? Wer geht denn in die Edel-Bordelle? Wo wird denn hier Monogamie gelebt? 

Theologen predigen Treue, Genügsamkeit und Enthaltsamkeit. Gehören die sexuellen Ausschweifungen von Bischöfen und Würdenträgern des Mittelalters ins Reich der Fantasie? Liegen die Leichen getöteter Kinder versehentlich auf den Friedhöfen von Nonnenklöstern vergraben? Hat sich die Kirche aus reinem Altruismus zum größten Alimentezahler entwickelt? Sind Schwule und Lesben im Priestergewand in Wahrheit vom Teufel gesandte Saboteure des göttlichen Auftrags? Was ist mit den vielen, ja unzähligen Skandalen, wo Priester der katholischen Kirche Jungen und Mädchen missbrauchen? Die dann noch vertuscht werden.
Ist es nicht die Kirche, die Wasser predigt und Wein trinkt? Wo wird denn hier Monogamie gelebt? 

Optimiert, K.Winkler 15. April 2021