Wie Sie Ihren Partner richtig sehen können
Wir gehen vollkommen unbewusst davon aus, dass unser Gegenüber genauso tickt wie wir. Ist der eine laut und impulsiv, erwartet er diese Reaktion auch unbewusst vom Gegenüber. Erfolgt diese Reaktion nicht wie erwartet, dann ist man schnell genervt vom Partner. Reagiert dieser mit Rückzug und Stille, entstehen Missverständnisse. Die bewusste Wahrnehmung ist ein wichtiger Aspekt in einer glücklichen Paarbeziehung. Sie schafft Verständnis und kann die Basis für ein harmonisches Zusammenleben bilden.
Ein Beispiel zur bewussten Wahrnehmung aus meiner Praxis
Kürzlich war ein Paar in der erlebten Paarberatung, die schon auf den ersten Blick in ihrem Verhalten sehr unterschiedlich waren. Sie kam zur Begrüßung schnellen Schrittes durch die Tür und setzte sich ebenso dynamisch auf den Sessel, den Oberkörper nach vorne geneigt. Er schritt langsamer hinterher und ließ sich zögerlich nieder, die Hände vor der Brust verschränkt. Das Paar berichtete mir von einer typischen Situation in ihrem Alltag. Sie kam abends nach Hause und erzählte im Detail und gestikulierend vom Ärger mit einer Kollegin, während er im Sessel saß und eine Zeitung in der Hand hielt - sichtlich genervt von seiner Partnerin. Statt auf diese Situation einzugehen, verzog er sich mit einer Zigarette auf die Terrasse. Beide sind in Situationen wie diesen unglücklich. Sie fühlt sich unverstanden, er überfordert. Beide sind genervt vom Partner.
Bewusste Wahrnehmung: So können Sie negative Kreisläufe durchbrechen
Wer sich nicht mit diesen Situationen auseinandersetzt, wiederholt diese Muster immer wieder. Ich führte das Paar in mehreren Gesprächen zu einer bewussten Wahrnehmung. Durch genaues Hinsehen sind wir gemeinsam darauf gekommen, warum sich der Mann in dieser Situation zurückzog oder genervt ist von seiner Partnerin. Er hatte eine sehr dominante Mutter, die auch gewalttätig war. Wenn seine Frau heute in ähnlicher Weise dominant auf ihn zugeht, fühlt er sich in die Rolle des hilflosen Kindes zurückversetzt und flüchtet aus der Situation.
Durch das bewusste Wahrnehmen versteht die Frau nun die Reaktion ihres Partners. Sie braucht seinen Rückzug nicht auf sich zu beziehen oder genervt zu sein und kann ihr Verhalten diesbezüglich ändern. Bewusste Wahrnehmung hilft aber in erster Linie, sich selbst besser zu verstehen. Wenn ich mir klarmache, wie mein Verhalten auf andere wirkt, kann ich durch die bewusste Wahrnehmung dazu beitragen, das Miteinander besser zu gestalten.
Statt genervt zu sein vom Partner ihn bewusst wahrnehmen
Unsere Wahrnehmung wird ganz bewusst von unserer aktuellen Lebenssituation und unseren Wünschen gesteuert. Ein Paar, das sich ein Kind wünscht, begegnet plötzlich nur noch schwangeren Frauen oder frisch gebackenen Eltern. Jemand, der gerade frisch getrennt ist, sieht nur noch Liebespaare um sich herum.
Wir haben einen Filter vor unseren Augen, der die bewusste Wahrnehmung lenkt. Dieser Filter ist sehr individuell und wird geformt durch unsere Erfahrungen. Äußere Reize wie Gerüche, Stimmen oder Bilder können Erinnerungen heraufbeschwören, die wir mit aktuellen Situationen in Verbindung bringen. Ein Duft erinnert an einen Peiniger in der Kindheit und automatisch fürchten wir uns vor der Person, die diesen Duft trägt. Nur wenn wir diese Reaktionen bewusst wahrnehmen und verstehen, können wir uns von einem reaktiven Verhalten befreien.
So wirkt sich die bewusste Wahrnehmung auf unser Verhalten aus
Wie positiv sich die bewusste Wahrnehmung auf unser Verhalten auswirkt, lässt sich sogar wissenschaftlich nachweisen. In den Stirnlappen des Gehirns befindet sich ein Bereich, in dem kognitive Fähigkeiten entstehen, die es uns ermöglichen, Situationen aus verschiedenen Perspektiven zu sehen. Sie sind die Voraussetzung dafür, dass wir empathisch sind und uns auch in unser Gegenüber hineinversetzen können.
Wer sich dieser Fähigkeiten bewusst ist, kann sie gezielt einsetzen und Verständnis gegenüber seinem Partner entwickeln. Die bewusste Wahrnehmung ist damit ein wichtiger Baustein in einer glücklichen Paarbeziehung.