Technik ist wichtig für eine befriedigende Sexualität

Lüge und Mythos 4

„15 Praktiken für eine erfüllte Liebe.“ Das könnte ein beliebiger Titel in einem Regal einer gut sortierten Buchhandlung oder ein Artikel in der Regenbogenpresse sein. Hier wird allein auf der Umschlagseite schon assoziiert, dass die Stellung beim Sex das Gefühl der Liebe im Inneren positiv beeinflussen könne. Wer es als Sexualpartner also schafft, den anderen möglichst lustvoll zu befriedigen, hat damit ein paar Punkte auf dem Liebeskonto gesammelt. Dabei sind gleich ein paar Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Aber ist es wirklich so simpel? Sie ahnen es … nein. Viele Sexualforscher und Therapeuten widmen sich der Frage nach möglichst befriedigenden sexuellen Stellungen. Das ist per se gut. Wer jedoch das vorangegangene Kapitel aufmerksam gelesen hat, der weiß, dass hier vermischt wird, was aus meiner Sicht getrennt werden müsste. Aus meiner Perspektive vermag es die beste Sexualpraktik der Welt nicht, die Liebe zwischen zwei Menschen zu steigern. Also stößt mir ein solcher Buchtitel immer unangenehm auf.

Viele Männer können sich nicht davon freisprechen, schon einmal mit ihrem sexuellen Können gegenüber Freunden geprahlt zu haben (auch wenn dies häufig in den Bereich der „Jugendsünden“ fällt). Vielleicht liegt der Grund dafür tief in unseren Genen verwurzelt, denn es kursiert in vielen Köpfen der Glaube, dass der Mann eine Frau durch besonders intensive Stimulationstechniken hörig machen könne. Aus meiner Perspektive gibt es eine solche Hörigkeit nicht. Vielmehr existiert ein unbedingter Bindungswille an einen Menschen und an seine Persönlichkeit. Voraussetzung für die Entstehung einer Hörigkeit ist die Bereitschaft eines Partners, sich dem anderen unterzuordnen und ihn als eine Autorität anzuerkennen. Das Thema Hörigkeit ist leider oft eng verbunden mit Leid, Schmerz, Kummer und Angst. Das klingt nicht erstrebenswert – weder für die Liebe, noch für die Sexualität. Sicher fühlt der Mann sich zunächst geschmeichelt, sein Selbstbewusstsein ist gestärkt, und eventuelle Defizite sind scheinbar kleiner geworden. Doch nachdem dieser Effekt eingetreten ist, wird die hörige Person bald lästig. Wir halten also fest: Ein Abhängigkeitsverhältnis sollte weder das Ziel der Liebe noch das der Sexualität sein. Im Übrigen ist eine besondere sexuelle Praktik allein auch gar nicht geeignet, eine solche Abhängigkeit zu erzeugen.

Die Wirkung sexueller Techniken wird gerne überschätzt, und es wird von ihnen erwartet, Liebe erzeugen und bewahren zu können. Das schafft jedoch nur die Liebe allein. Sexualität ergibt sich in einer Liebesbeziehung von selbst. Man muss zuvor keine Bücher über die „15 Praktiken für eine erfüllte Liebe“ lesen. Sie brauchen dazu keine Anleitungen lernen und nicht mal Ihren Verstand einschalten. Lassen Sie die Liebe einfach geschehen. Zu Berührungen, Küssen, Zärtlichkeiten kommt es zwischen zwei Menschen, die in Liebe miteinander verbunden sind, ganz ohne bewusstes Zutun. Es gibt für diese intimen Begegnungen keine richtige oder falsche Technik, sondern allenfalls den Rat, nur das zuzulassen, was beiden in diesem Moment guttut. Sobald Sie den Verstand einschalten, Regeln befolgen und Techniken anwenden, besteht die Gefahr einer neuen Routine. Wenn Sie einem Kind einen Stift in die Hand drücken – lassen Sie es malen. Geben Sie ihm nicht vor, dass es Bäume, Häuser und Vögel zeichnen soll. Lassen Sie den Schöpfergeist wirken. Das gilt auch für die Sexualität. Zu einer erfüllenden Sexualität zwischen Liebenden gehört es, sich fallen lassen zu können. Liebe nach Plan zu machen, wäre beinahe so, wie nach Plan einen entspannten Tag am Strand zu verbringen, der auf die Sekunde genau vorgibt, wann Sie welchen Stein aufheben, wann Sie etwas trinken, essen und wann Sie schwimmen gehen. Wie entspannend wäre für Sie ein solcher Urlaub? Spontanität ist ein elementarer Bestandteil der Sexualität, den Sie sich unbedingt bewahren sollten.

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