Liebeslügen und Liebesirrtümer Fazit

Fazit zu den 14 Mythen

Leben im Widerspruch

Einige Liebeslügen sind beschrieben, zahlreiche Entwicklungen im Verhältnis von Partnerschaft und Sexualität beleuchtet, unterschiedliche Standpunkte dargestellt und kritisch betrachtet worden. Nun ist es an der Zeit, eine Bilanz zum Komplex der Lügen zu ziehen.

Wir haben eine Sexualität kennengelernt, die:

  • Stets geschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen unterworfen war und noch immer ist. Dabei hat sie sich nicht als starr, sondern als beweglich, anpassungsfähig und unauslöschbar gezeigt.
  • Gegenstand religiöser Interpretation war, tabuisiert, entwertet, als Sünde betrachtet, erhöht und mit Erlösungserwartungen befrachtet wurde
  • sowohl familiären als auch staatlichen und individuellen Interessen dienen musste und noch dient und durch alle Zeiten hindurch als Ware gehandelt wurde
  • in ihrer Zeugungsfunktion an eine Überlebenspartnerschaft gebunden war, während ihre leidenschaftliche und lustvolle Erscheinungsform zuerst moralisch aus der Ehe verbannt war und später allein für die Ehe reserviert sein sollte
  • bislang jede ihr gesteckte Grenze überwunden oder untergraben hat
  • über ihren triebhaften Anteil hinaus psychischen Themen und inneren sowie partnerschaftlichen Konflikten Ausdruck verleiht
  • sich als Bühne gesellschaftlicher, paarbezogener und individueller Inszenierungen anbietet
  • heute zum Kriterium funktionierender Beziehungen erhoben ist und gleichzeitig permanent entzaubert wird
  • einen neuen, wissenschaftlich begründeten Mythos ihrer Machbarkeit in der Lebenspartnerschaft erfährt und damit zur Sexualisierung und Pathologisierung von Beziehungen missbraucht wird

Vom Ende sexueller und partnerschaftlicher Normalität

Anhand des Überblicks wird deutlich: Es gibt sie nicht, die „normale“ partnerschaftliche Sexualität. Es gibt keine Sexualität, die für die Dauerpartnerschaft erfunden oder gemacht wurde. Es gibt nicht einmal so etwas wie natürliche Sexualität und daher auch keine natürliche partnerschaftliche Sexualität.

Es existieren keine verbindlichen Regeln, keine allgemein verpflichtenden Normen im Umgang mit Sexualität. Eine verallgemeinerbare Lösung des Themas „Sexualität und Partnerschaft“ hat es nie gegeben, und sie wird sich auch in Zukunft nicht anbieten. Sie existiert nur in den Köpfen von Ideologen und in den Wunschbildern der Partner als Täuschung, Illusion und in Form von Liebeslügen.

Sich im Widerspruch zurechtfinden

Einerseits Sehnsucht nach fester Beziehung, andererseits unbezähmbare Sexualität, gleichzeitig fehlende Normalität und dennoch Suche nach individueller Zufriedenheit, demokratische Verhandlungen und selbst aufgestellte Regeln ‒ so gegensätzlich sieht die Realität unserer Beziehungen aus.

Daher möchte ich als wichtigstes und, wie ich hoffe, nachvollziehbares Ergebnis dieses Buches festhalten, dass Partnerschaft heute bedeutet: Im Gegensatz zu leben. Dieser Widerspruch besteht vorwiegend zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Sexualität in Partnerschaften.

Kein Paar findet sich in diesem Widerspruch problemlos zurecht. Denn es gibt ihn nicht, den perfekten Weg, in dem Lebenspartnerschaft und Sexualität dauerhaft und zur Zufriedenheit beider vereint sind. Der partnerschaftliche Widerspruch ist nie völlig lösbar, auch wenn dies von Experten gerne und variantenreich behauptet wird.

Lusttrieb, maskiertes Begehren, inszenierte Sexualität, emotionale Wünsche, Rollenteilung, psychische Dynamik, familiäre Aufgaben, Erlösungshoffnungen, individuelle und gesellschaftliche Mythen … zwischen diesen Kräften und Faktoren bewegen sich die Partner, und von ihnen werden sie hin und her geworfen. Durch dieses Spannungsfeld kann man nicht hindurch, ohne an Grenzen zu stoßen, über Fallstricke zu stolpern, in Gruben zu fallen.

Von den etwa dreißig Langzeitpaaren, die ich befragte konnte (Partner, die länger als fünf Jahre in Beziehung lebten), gaben nur 2 Paare an. 

"Bislang ohne größere Krisen, mit den Entwicklungen und Veränderungen der sexuellen und erotischen Seite ihrer Partnerschaft umgehen zu können".

Was also können Partner überhaupt tun?

Kann der Widerspruch nicht aufgelöst werden, so bleibt Partnern nichts anderes übrig, als

darin nach gangbaren Wegen und nach Orten zu suchen, an denen sie sich aufhalten können. Das können die Partner tun, und daher möchte ich im letzten Abschnitt dieses Buches auf solche Wege und Orte hinweisen.

Wege und Orte im Widerspruch

Partner, die im Widerspruch zwischen Beziehungsideal und -wirklichkeit leben, sollten die Wege ihrer persönlichen Entwicklung und die Orte ihres Aufenthaltes darin einzig aufgrund individueller Prioritäten wählen. Solche zwischen den Extremen einer von Sexualität freien Lebenspartnerschaft und einer von Bindung freien Sexualpartnerschaft schließlich gefundene, individuelle Lösungen sind jedoch nicht ewig gültig, sondern ändern sich je nach Lebensphase und Zustand der Partnerschaft.

Ich schildere solche Möglichkeiten im Folgenden daher nicht, um sie als Lösungen hochzuhalten. Ebenso möchte ich mich jeder Bewertung der praktizierten Lebensformen enthalten. Ein Urteil zu den jeweiligen partnerschaftlichen und sexuellen Verhaltensweisen muss sich jeder Leser selbst bilden. Es geht mir nicht um richtig oder falsch, moralisch oder unmoralisch, sittlich oder verwerflich. Es geht weder um Rezepte oder Ratschläge noch um Empfehlungen zur Nachahmung.

Es geht darum zu beschreiben, was es bereits gibt, was Partner völlig unabhängig von Experten gefunden haben, worauf sie bar jeden Anspruches und jeder Ideologie von selbst gekommen sind.

Im Einzelnen geht es dabei um:

  • • sexuelle Abstinenz in der Lebenspartnerschaft
  • • serielle Monogamie
  • • Partnerschaft mit Abstand
  • • Sexualpartnerschaft
  • • geregelte Abwechslung
  • • Haupt- und Nebenbeziehungen
  • • organisierten Partnertausch
  • • kultivierte Selbstbefriedigung
  • • gekaufte Sexualität

Beziehungsverhandlungen

Heute, da sich Mann und Frau nicht mehr aus Gründen des Überlebens zusammentun müssen, sind einzig individuelle Motive und vor allem Gefühle für das Zustandekommen einer Partnerschaft gültig. Daher kann jeder Mensch wählen, ob er eine Partnerschaft eingehen will, mit wem er sie führen will und in welcher Weise dies geschehen soll. Demokratie, in Form der Wahlfreiheit, hat sich in unseren Beziehungen durchgesetzt.

Das ist die gute Nachricht: Es besteht Freiheit. Die schlechte Nachricht lautet ebenso: Es besteht Freiheit. In dieser Freiheit gibt es keine hilfreiche Orientierung von außen. Jedes Paar und jeder Partner wird sich bei der Wahl seines Orientierungsrahmens, bei seinen Ideen von Partnerschaft, seiner Ideologie auf sich selbst verlassen und diese unter Umständen auch gegen Anfechtungen von Experten und Moralaposteln vertreten müssen. Zufriedenheit scheint dabei das einzig langfristig gültige Kriterium zu sein, auf das man sich in der Partnerschaft stützen kann. Womit die Partner zufrieden sind, das sollten sie herausfinden und in ihren Beziehungen etablieren.

Partner tun dies, indem sie über die Form ihrer Partnerschaft verhandeln und so individuell passende Lösungen vereinbaren. Dann gilt, womit beide einverstanden sind. Die Partner schließen also Verträge. Das war schon immer so, nur waren die Verträge früher von Staat, Kirche oder Familie weitestgehend „vorgedruckt“. Heute schreiben die Partner ihre Regeln und Verträge selbst.

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