Die Sexualität des Mannes im Kontext der Enge

Teils unbewusste Reaktionen

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Sie männliche Sexualität wird wie viele partnerschaftliche Themen von sehr vielen Voruteilen und Missverständnissen geprägt. Dazu gehören Aussagen wie "Der Mann hat immer Lust" und die Erwartung, er müsse auch immer zum Geschlechtsakt bereit sein. Leidet der Mann in der Beziehung dann zusätzlich unter dem Druck, die Frau „lieben zu müssen", so kommt auf sexuellem Gebiet noch mehr negative Spannung auf.

Männliche Sexualität: Typische Fälle aus meiner Praxis

Jürgen: „Bei ihr hat die Erwartung bestanden, dass ich sie wollen, soll. Sie wollte, dass ich mit ihr schlafen WILL. Sie hat nicht versucht, mit mir zu schlafen, sondern hat versucht, mich dazu zu kriegen, dass ich sie will. Der Druck war, dass ich das Ganze anschieben sollte, dass ich die Initiative ergreifen sollte, dass ich sie begehren sollte.“

„Du sollt mich begehren" ist die sexuelle Entsprechung zur emotionalen Erwartung „Du sollst mich lieben", durch sie werden das Engegefühl des Mannes verstärkt. Dabei kommt diese Erwartung nicht nur von der Frau. Der Mann selbst trägt sie in sich, denn auch er glaubt, die Frau, die er liebt, begehren zu müssen. Er glaubt daran, auch wenn dieser Druck seine sexuelle Erregbarkeit einschränkt. Doch er erwartet noch mehr von sich.

Rolf: „Der Druck, für ihre sexuelle Erfüllung zuständig zu sein, der macht bei mir alles tot. Da fühle ich mich völlig überlastet. Wenn sie erwartet, dass ich sie sexuell erfülle, weil wir zusammen sind und weil sie unzufrieden ist, dann ist schlagartig Schluss."

Die Sexualität des Mannes unter dreifachem Druck in Partnerschaften

„Ich soll sie befriedigen und erfüllen" ist eine weitere Erwartung, die dem Mann zu schaffen macht. In seiner Sexualität steht der Mann somit unter dreifachem Druck:

  •          Der Erwartung, die Frau begehren zu sollen,
  •          Der Erwartung, sie sexuell erfüllen zu müssen und
  •          Dem Druck seiner eigenen sexuellen Bedürfnisse.

Unter der Last dieser Ansprüche genügt manchmal schon ein Satz, um den Mann in Panik zu versetzen.

Gerd: „Sie hat mir von den unbefriedigenden sexuellen Erfahrungen in ihrer vorherigen Beziehung erzählt und dann so einen Satz fallen lassen ‚Jetzt habe ich ja dich‘. Das war wie ein Schlag für mich. Plötzlich war alles wie ausgeknipst. Ich wollte erst wieder mit ihr schlafen, als sie sich von mir getrennt hat."

Der Satz: „Jetzt habe ich ja dich“ bedeutete in Gerds Wahrnehmung: „Jetzt muss ich - sie zufriedenstellen, sie begehren, ihre Erwartungen erfüllen, besser sein als der andere“. Gerd gerät in Panik, sein sexuelles Interesse zieht sich zurück und meldet sich erst wieder, als seine Freundin sich von ihm trennt. Durch die Trennung bekommt er den Platz und die emotionale Gewissheit, frei und nicht beengt zu sein - und nur aus dieser Gelassenheit (er hat Gelassenheit, weil sie ihn lässt, indem sie sich trennt) heraus kann er sein sexuelles Interesse an ihr wieder entdecken.

Frühzeitiger Samenerguss: Wenn Lust zum Problem wird 

Zum frühzeitigen Samenerguss kommt es, wenn der Mann nicht mehr gelassen ist. Weil er unter Druck steht, sucht der Mann Auswege.

Conny: „Es macht mich langsam wahnsinnig. Seit vier Jahren haben wir nicht mehr richtig miteinander geschlafen. Es läuft immer gleich ab und geht blitzschnell. Manchmal merke ich gar nicht, dass es schon passiert ist. Dann dreht er sich um, sagt „Entschuldigung" und schläft sofort ein. Ich liege da und fühle mich beschmutzt und missbraucht.“

Die Erfahrung dieser Frau lässt sich in dem Satz zusammenfassen: Wenn er kommt, geht er. Gleichzeitig mit dem Samenerguss bricht der Mann die von vornherein oberflächlicher Verbindung zu ihr ab. Er dreht sich um und schläft ein. Seine Frau bleibt zurück, enttäuscht und frustriert. Ihr Mann ist müde, bestenfalls ein wenig entspannt. Er hat Spannung abgelassen. Doch am nächsten Tag hat er wieder Spannung aufgebaut, dann braucht er es wieder und wieder findet er statt tiefgehender Befriedigung kurzfristige Entspannung in Form von Ermattung.

Der Rückzug aus der Nähe zur Frau

Im frühzeitigen Samenerguss schließen zwei starke innere Spannungen des Mannes einen fragwürdigen Kompromiss. Die Spannung, die aus dem eigenen Wunsch nach sexueller Befriedigung erwächst, vermischt sich mit der Angstspannung vor körperlicher Nähe zur Frau. Das Ergebnis ist eine Begegnung, die weder nah noch fern, weder Ja noch Nein ist. Vollkommener als durch den verfrühten Samenerguss kann der Rückzug aus der Nähe zur Frau kaum sein. Nach Sekunden oder Minuten ist es vorbei.

Keine Lust: Wenn die Sexualität des Mannes eingeschlafen ist

Ein weiterer Weg, die Enge der Pflicht zu vermeiden ist das vollkommene Verschwinden der Lust. Der Mann hat keine Lust mehr, was für die Frau oft ein K.-o.-Kriterium ist. Frauen leiden unter der Unlust des Mannes am meisten. Sie fühlen sich nicht begehrt, nicht mehr attraktiv. Also versucht Sie, Begehren zu erzwingen oder sogar darum zu betteln. Eine schlechte Strategie, denn der Mann wird dadurch nur noch mehr in die Enge getrieben und die Frau mutiert von der Partnerin zum Kind. Dies wiederum bestärkt die Unlust des Mannes. Eine Frau, die selbst mit sich unzufrieden ist, generiert durch ständige Kritik oder Eifersucht und mit ihrer eigenen Verlustangst beim Mann das Gefühl der Enge. Ein Vulnerabilitätskreislauf, der letztendlich sogar oft zur Trennung führt, auch wenn es ‚nur‘ eine emotionale Trennung ist.

Impotenz: Von der Unmöglichkeit des Mannes, Sexualität zu leben

Ein frühzeitiger Samenerguss ist nicht der einzige Ausweg des Mannes aus der Bedrohung durch Nähe. Der Kampf um Freiraum kann auch andere Formen annehmen - er kann in die Verweigerung führen.

Ralf: „Das kenn ich ja, sie ist dann so fordernd, da gibt es kein Entrinnen. Da weiß ich schon, jetzt ist es wieder so weit, jetzt muss ich ran. Also sag’ ich mir, was soll’s. Ich sag’ mir, dass ich doch nicht Drumherum komme und es besser hinter mich bringe. Dann fangen wir an. Eigentlich bin ich müde und das geht mir zu schnell. Manchmal geht meine Erektion weg. Am liebsten würde ich die Augen schließen und einfach wegkippen, einfach entschwinden. Irgendwann schlaf ich ein."

Männern, die ihre eigenen Gefühle auf diese Weise ignorieren und sich zu einer körperlichen Nähe und einer Leistung zwingen, die ihnen nicht entspricht, bleibt nach einiger Zeit oft nur der Ausweg in die Impotenz. Sie entbinden sich damit unbewusst selbst von der Pflicht, Leistung bringen zu müssen. Impotenz wird zum Ausweg aus der Enge und zur unumstößlichen Weigerung, Liebe beweisen zu müssen. Aus dem ‚ich will nicht’ ist ein ‚ich kann nicht’ geworden.

Fazit zur Sexualität des Mannes im Kontext der Enge

Es ergibt keinen Sinn, den Mann in diesem Punkt zu bedrängen. Es sind andere Wege erforderlich. Weder aggressiv durch Fordern oder Drohen noch demütig durch Bitten und Bedauern. Viagra & Co können helfen, nur dann läuft es mechanisch ab und die (emotionale) Nähe fehlt. Das wiederum gefällt der Frau nicht und ergibt daher auch keinen Sinn. Enge schafft Druck, Unlust oder sogar Impotenz. Wer Sexualität wieder als lustvoll erleben möchte, der muss Freiräume schaffen.