Gustav und Elise: Gewohnheiten

Fachpraxis für systemische Paarberatung und systemische Sexualberatung

„Man denkt an das, was man verließ. Was man gewohnt war, bleibt ein Paradies.“

Johann Wolfgang von Goethe

Gewohnheit ist in der Beziehung gleichermaßen ein Segen und ein Fluch. Unsere Beziehung hat dann einen echten Wert, wenn uns der Partner ein Zuhause ist, das uns Geborgenheit und Vertrautheit schenkt. Man entwickelt Rituale, die im Alltag Halt geben, insbesondere aber in schweren Zeiten des Lebens. Der vielzitierte Fels in der Brandung ist ein wichtiger Bestandteil in der Partnerschaft – er kann aber genauso gut dafür verantwortlich werden, dass das Schiff der Liebe kentert.

Es muss nicht zwingend ein benennbarer, schwerwiegender Grund für das Ende der Partnerschaft verantwortlich sein. Während Gustav es liebt, Elise jeden Tag eine Rose auf den Tisch zu stellen, empfindet sie es plötzlich als überflüssige und langweilig gewordene Ideenlosigkeit. Jeden Sonntag den Tatort zu gucken, statt mal wieder etwas Spontanes und Romantisches zu unternehmen, kann schleichend das Ende der Liebe einläuten.

„Wir kennen uns in- und auswendig und wissen genau, was der andere gerade denkt.“ Wenn Sie diesen Satz von einem befreundeten Paar hören, befinden sich diese Menschen in höchster Gefahr. Wir empfinden nicht an jedem Tag unseres Lebens gleich und auch nicht in ähnlichen Situationen immer ähnlich. Wir verändern uns, und mit uns muss sich auch die Beziehung ändern. Beständigkeit, Langeweile, Gewohnheit – all das ist ein schleichendes Gift in der Partnerschaft, an der sie auch sterben kann. Den Fernsehkrimi können Sie schließlich auch alleine sehen, und Rosen gibt es an jeder Straßenecke zu kaufen.

Die Liebe kann viel Alltag und Gewohnheit vertragen. Aber aus dem flüchtigen Begrüßungskuss am Abend muss auch ab und zu eine zärtlich, intensive Umarmung werden.

Liebe versus Verliebtsein: Suchen Sie nicht nach dem Falschen

Auch hier sind es wieder die Hollywood-Filme, die uns in der Realität entgegenstehen. Wenn Richard Gere seiner Ehefrau zuliebe nach vielen Jahren des Zusammenseins einen Tanzkurs belegt, um sie dann am oberen Ende der Rolltreppe mit einer Rose in der Hand und einem perfekt sitzenden Anzug zum Tanz inmitten des Einkaufscenters aufzufordern, erwarten wir nichts Geringeres von unserer eigenen Beziehung. Leidenschaft wie am ersten Tag. Schön wäre es.

Doch was am Anfang fasziniert hat, stört später oftmals. Es ist nicht möglich, die anfängliche Faszination aufrechtzuerhalten. Die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Menschen. Wenn etwas geschieht, sollten es die Paare genauso in ihrer Partnerschaft annehmen.

Glückliche Langzeitpaare gehen mit Veränderungen klug und vernünftig um. Ich nenne das die Widerfahrniskompetenz. Das ist auch mein Ziel bei der Paartherapie. Einer der ersten Sätze in der Zusammenarbeit mit Paaren ist dieser: „Wir möchten, dass es wieder genauso ist wie am Anfang der Beziehung“. Das ist unmöglich. Paare sollten nicht nach Maximierung, nicht nach Optimierung ihrer Beziehung suchen und schon gar nicht das Gefühl, das am Anfang für sie so bestimmend war. Vielversprechender ist es, all das zu akzeptieren, was ihnen widerfährt.

Wenn ein Akzeptieren nicht möglich ist, bedeutet dies Trennung oder Leiden. Suchen Sie nach vielen Jahren nicht nach der anfänglichen Verliebtheit, aber fragen Sie sich: Bin ich stolz, dass dieser Mensch hier an der Kasse im Supermarkt neben mir steht? Begehren Sie seinen Körper? Freuen Sie sich am Abend darauf, wenn Ihr Partner Ihnen von den Ereignissen seines Tages berichtet?

Gustav und Elise sind leider während des gemeinsamen Fernsehabends eingeschlafen – jeder in einer anderen Sofaecke ‒, und sie haben nicht einmal herausgefunden, wer diesmal der Mörder war.

Titel: Gustav und Elise: Gewohnheiten